Markenstrategien in historischer Perspektive. 11. Sitzung des Arbeitskreises Marketinggeschichte

Markenstrategien in historischer Perspektive. 11. Sitzung des Arbeitskreises Marketinggeschichte

Organisatoren
Gesellschaft für Unternehmensgeschichte (GUG) e.V., Frankfurt am Main
Ort
Düsseldorf
Land
Deutschland
Vom - Bis
26.04.2018 - 27.04.2018
Url der Konferenzwebsite
Von
Marcel Stierand, Gesellschaft für Unternehmensgeschichte (GUG) mbH, Frankfurt am Main

„Tempo“ statt Taschentuch, „Tesa“ statt Klebeband, „Fön“ statt Haartrockner – in manchen Fällen schaffen es einzelne Marken(namen), synonym für das eigentliche Produkt verwendet zu werden. Wenngleich diese Beispiele Ausnahmeerscheinungen sind zeigen sie, welche Wirkungen Markenimage und die dahinterliegende Markenstrategie im besten Fall entfalten können. Nicht minder interessant lesen sich Markenbeispiele innerhalb einzelner Branchen, die sich – als einzelnes Produkt oder als Gesamtunternehmen – von der Konkurrenz abzuheben versuchen; etwa durch die Qualität, den Preis, einen höheren Wiedererkennungswert, ein besseres Image oder als Ausdruck eines Lebensgefühls. Das Erreichen dieser Ziele macht die langfristige Planung und Umsetzung zielorientierter Maßnahmen notwendig und unterstreicht damit die Relevanz von Markenstrategien im Rahmen des Marketings.

Diese Tagung widmete sich dem Thema Markenstrategien in historischer Perspektive. Die Vorträge erstreckten sich dabei über die Branchen Chemie, Bekleidung, Automobil und Massengüter im engeren Sinn. Es wurde anhand ausgewählter Beispiele auf unterschiedliche Markenstrategien, deren Entwicklung und Wandelbarkeit, auf Markenbildung und -beibehaltung sowie auf das Scheitern derselben Bezug genommen.

Die Sitzung wurde durch BENJAMIN OBERMÜLLER (Düsseldorf), CHRISTIAN KLEINSCHMIDT (Marburg) und INGO KÖHLER (Göttingen) eröffnet. Kleinschmidt und Köhler wiesen darauf hin, dass das Thema Marken/Markenstrategie in historischer Perspektive unterrepräsentiert sei und sich Qualifikationsarbeiten eher mit Marketing und Markenpolitik auseinandersetzten. Entsprechend gebe es bisher auch nur wenig wissenschaftliche Literatur zu diesem Thema, insbesondere übergeordnete Werke seien kaum vorhanden. Dies spiegele in keiner Weise die Signifikanz von Markenstrategien wider, die für den Markterfolg von Unternehmen von großer Bedeutung seien. Der Beitrag der Historiker zur Forschung der Markenstrategie erstrecke sich in der historischen Einordnung von Verlauf, Entwicklung und Analyse.

BENJAMIN OBERMÜLLER (Düsseldorf) gab in seiner Präsentation einen Einblick in das Konzernarchiv von Henkel, das zahlreiche Bestände zur Marketinggeschichte archiviert. Dies begründe sich nicht zuletzt durch Marken, die seit vielen Jahrzehnten Teil des Unternehmens seien. Als sicherlich herausragendes Paradebeispiel könne das Waschmittel Persil bezeichnet werden, das seit über 100 Jahren verkauft wird und sich im deutschen Markt als Inbegriff für Waschmittel etabliert habe. Obermüller schloss sich Köhler und Kleinschmidt an und stellte ebenfalls fest, dass nach wissenschaftlichen Standards angefertigte historische Markengeschichten die Ausnahme seien. Stattdessen gebe es viele Veröffentlichungen aus Kommunikationsabteilungen und dem Journalismus, die diesen Standards nicht genügten. Bezüglich der Markengeschichte von Henkel übernehme das Konzernarchiv die „Archivierung aller relevanten Unterlagen“ zu den einzelnen Business Units. Bemerkenswert sei die Sammlung von etwa 220.000 Produktpackungen und etwa 4.000 Objekten und Exponaten im Konzernarchiv, zu denen auch die „vollständige Überlieferung aller deutschen Persil-Produkte seit 1907“ zähle. Darauf griffen neben dem Konzernarchiv selbst mit großem Interesse Kuratoren für Ausstellungen sowie die Film- und Fernsehindustrie für Kulissenmaterial zurück. Die Vielfalt der im Konzern damals wie heute vertretenen Produkte veranschaulichte der „Kolonialwarenladen“ auf dem Werksgelände, durch den die Teilnehmer des Arbeitskreises am zweiten Tag geführt wurden.

CLAUDIUS RUCH (Marburg) präsentierte dem Arbeitskreis sein Promotionsthema, das sich ebenfalls mit Henkel beschäftigt und die Verbindung zwischen Diversifikation und Akquisition anhand von acht Unternehmensübernahmen untersucht. Zwei Fallbeispiele – die Übernahmen der Therachemie GmbH sowie der Dreiring-Werke – wurden vorgestellt und ihre Entwicklung unter dem Einfluss von Henkel aufgezeigt. Die Therachemie GmbH führte wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg mit PolyColor das erste Haarfärbemittel für den Hausgebrauch ein. Dies wurde auch der historisch bedeutsamste Markenartikel des Unternehmens. Henkel erwarb frühzeitig Anteil am Unternehmen und übte auch Einfluss auf die Produktgestaltung aus. Nach der später erfolgten Akquisition wurde das Erfolgsprodukt „PolyColor“ zu einer „Poly“-Markenreihe aufgebaut. Mit dem Einstieg und der im Anschluss durchgeführten Übernahme der Dreiring-Werke erweiterte Henkel sein Portfolio indes um Seifen. Konzentrierte sich Dreiring zunächst weiterhin auf Kern- und Schmierseife, fand in den 1950er-Jahren eine Erweiterung der Produktpalette um parfümierte Seifen, so genannte Feinseifen, statt. Die bekannteste des Unternehmens ist auch heute noch erfolgreich am Markt und sei exemplarisch für die Mehrmarkenstrategie genannt: Fa. Nach Ruchs derzeitigem Forschungsstand trieb das Unternehmen Henkel mit den Akquisitionen seine Konzern-Produktdiversifikation voran und baute gezielt Marken auf. Inwieweit Marken als Goodwill bereits bei den Übernahmen eingepreist worden seien, konnte abschließend noch nicht gesagt werden.

Eine andere Branche beleuchteten SANDRA TRAPP (Herzogenaurach) und CHRISTIAN KLEINSCHMIDT (Marburg), indem sie die Ergebnisse der Untersuchungen zu den Markenstrategien bei Adidas vorstellten. Trapp blickte zunächst auf die heutige Markenstrategie, in der sich das Unternehmen als „Creator Sports Brand“ versteht. Basierend auf dem konzernweiten Marketingprogramm „Creating the New“ arbeite das Unternehmen beziehungsorientiert indem der Kunde seine aktive Anteilnahme an der „Schöpfermarke“ und seinen Entwicklungen vermittelt bekommen soll. Im Gegensatz dazu wurde durch beide Vortragenden aufgezeigt, wie lange es dauerte, bis sich bei Adidas eine zielgerichtete Markenstrategie etablierte. Das Beispiel des Unternehmens veranschauliche auch die Unterschiede zwischen Marken und Markenstrategien: Frühzeitig wurde – besonders in Konkurrenz zu der sich in direkter Nachbarschaft befindlichen Firma Puma – nach Differenzierung gesucht. Diese spiegele sich etwa im Suchen und Finden des Dreistreifenlogos wider, wobei es sich jedoch keineswegs um eine Markenstrategie handelte, sondern um „Trial & Error“. Selbiges galt für den Namen. Auch das Image des „Erfinder-Unternehmens“ und der starke Eventbezug mit der Verbindung von sportlichem Erfolg und Adidas als Ausrüster seien noch nicht als gezielte Markenstrategie zu bewerten. Wohl aber zeige es die frühe Marketingorientierung des Unternehmens. Nach dem Generationenwechsel habe das Unternehmen seine Marketingaktivitäten verstärkt und Werbeträger/Testimonials in verschiedenen Sportarten engagiert. Dies entsprach abermals weniger einer festen Strategie, sondern sei ein „inkrementeller Weg, ein sich Vortasten“ als Reaktion auf sich wandelnde Märkte gewesen, so Kleinschmidt. Eine wirkliche Markenstrategie sei erst im Nachgang einer – mit externer Hilfe vorgenommenen – Bestandaufnahme entwickelt worden. Triebkraft hierfür seien Marktverluste und daraus folgende wirtschaftliche Herausforderungen gegen Ende der 1980er-Jahre gewesen. Im Ergebnis habe die Markenstrategie zu einer bewussten Neuausrichtung auf die Kernmarke und zur Veräußerung von Markenrechten akquirierter Unternehmen geführt. Diese Fokussierung sei mit der beabsichtigten Etablierung als Premiummarke Anfang der 1990er-Jahre einhergegangen. Ab Ende des Jahrzehnts sei es zur erneuten Übernahme von Unternehmen und der Erschließung neuer Märkte gekommen, die zu einer Mehrmarkenstrategie geführt haben. Mittlerweile finde wieder eine Straffung der im Unternehmen vertretenen Marken statt, Hauptmarke sei nach wie vor Adidas selbst. Bemerkenswert an diesem Unternehmen sei die lange Zeit nur bedingte Abhängigkeit von Marke, Markenerfolg und Markenstrategie. Dabei dürfte die besondere Marktsituation, die lange Zeit lediglich aus den beiden Big Playern Adidas und Puma bestand, signifikanten Einfluss gehabt haben.

Mit seinem Vortrag zu den Akquisitionsstrategien von deutschen Automobilunternehmen in den 1950er- und 1960er-Jahren richtete FLORIAN EISENBLÄTTER (Marburg) den Blick auf eine dritte Branche. Als Werkstattbericht seines Dissertationsprojektes beschäftigte sich Eisenblätter mit den Übernahmen von Auto Union und NSU Motorenwerke als Auftakt zur Mehrmarkenstrategie des Volkswagen Konzerns. Überhaupt eigne sich die deutsche Automobilindustrie gut zur Untersuchung von Mehrmarkenstrategien. Das Beispiel der Auto Union-Übernahme durch die Volkswagenwerk AG (VW) 1965 weise die Besonderheit auf, dass die Marke Audi im Anschluss aufgebaut und bis heute beibehalten worden sei. Gleichwohl hätten Markenüberlegungen allenfalls eine untergeordnete Rolle bei der Übernahme durch VW gespielt, so Eisenblätter. Die vorrangigen Motive des VW-Vorstandsvorsitzenden Heinrich Nordhoff hätten aus einer Kapazitätserweiterung für die VW-Produktion bestanden (habe die Auto Union doch moderne Produktionsanlagen und ein Vertriebsnetz mit 1.200 Händlern besessen) sowie einer Annäherung zwischen der Volkswagenwerk AG und der Daimler-Benz AG. In den Jahren nach der Übernahme sei zunehmend deutlich geworden, dass es zur Etablierung, Höherpositionierung und Sicherung der eigenständigen Marke Audi eines adäquaten Produktes bedürfte, über das man erst mit dem 1968 präsentierten Audi 100 verfügt habe. So habe die frühe Mehrmarkenstrategie des Wolfsburger Konzerns zwar bereits seit ersten Ideen im Jahr 1964 auf die zwei Marken Volkswagen und Audi gesetzt, was 1968 nochmals im „Langfristigen Marketingplan“ festgehalten worden sei; Entwicklungssynergien seien hier aber noch nicht genutzt worden. Daran habe auch die Übernahme der NSU Motorenwerke AG mittels Fusion der Töchter zur Audi NSU Auto Union AG 1969 nichts geändert. Erst die 1971 verabschiedete neue Fahrzeuggeneration des VW-Konzerns habe dank eines markenübergreifenden Baukastensystems die Nutzung von Produktions- und Entwicklungssynergien ermöglicht. Mit der Einführung der konzernweiten Absatzorganisation V.A.G 1978 habe VW die Vorteile der Mehrmarkenstrategie um Synergien im Vertriebsbereich ergänzt. Eisenblätter schloss seinen Vortrag mit einem Ausblick auf die seit den 1980er-Jahren erfolgten Unternehmensakquisitionen des VW-Konzerns, die die Möglichkeiten einer Mehrmarkenstrategie unter Ausnutzung von Baukastensystem und gestaffelten Preissetzungsmöglichkeiten über mehrere Marken hinweg verdeutlicht hätten.

ALEXANDER VON DEN BENKEN (Stuttgart) referierte anschließend über den Wechsel der Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG von einer Sportwagenmanufaktur zum modernen Automobilhersteller im Zeitraum zwischen 1972 und 1987. Er beschrieb dabei zunächst die Konzentration auf den Rennmotorsportbereich, über den sich Porsche schon seit frühen Jahren definiert habe. Durch das Bestehen in Konkurrenz mit großen Unternehmen wie Daimler-Benz und Jaguar habe sich Porsche das Image einer zwar kleinen, aber umso energischeren Firma erworben. Davon abgesehen habe das Unternehmen vor allem von den Enthusiasten vor Ort und den persönlichen Beziehungen der Führungsebene zum Großbürgertum und zum Adel profitiert. Daraus habe sich die Exklusivität der Marke Porsche als Sportwagen entwickelt. Die Marke Porsche, die sich bereits in den 1950er-Jahren auf den US-Markt konzentrierte und oftmals auf Kundenwunsch fertigte, lobte 1952 einen Wappenfindungswettbewerb aus. Dessen Ergebnis – ein Wappen in den württembergischen Landesfarben und mit Stuttgarter Ross – sei ein unverwechselbares Markenlogo und erfolgreiches Marketingtool geworden. Im Zuge von Marktherausforderungen in den 1970er-Jahren sei die Ausrichtung der Marke verändert worden, was unter anderem zu einer erweiterten Produktpalette geführt habe. In den 1980er-Jahren habe sich Porsche auf ein Mehr an Exklusivität und Technologie konzentriert. Zusätzlich seien Markenkommunikation und Marketingstrategien professionalisiert und Kunden nach „Milieus“ klassifiziert worden. Nachdem zeitweise ein gemeinsamer Vertrieb mit Volkswagen bestand, sei nun eine komplett eigene Vertriebsgesellschaft aufgebaut worden. Die direkte Kundenansprache und Kundenbindung wurden verstärkt, Porsche habe sich dadurch noch mehr als Lebensgefühl in Szene gesetzt.

Den Abschlussvortrag hielt JULIANE CZIERPKA (Bochum) über den Ruhrkohlebergbau und die Vermarktung der Steinkohle in den 1950er-Jahren. Czierpka ging in ihrer Präsentation auf Fragen nach Eignung und Notwendigkeit von Markenstrategien beim Massengut Steinkohle ein. Tatsächlich unterschied sich die Situation des Massengutes deutlich von denen der anderen vorgestellten Beispiele: Lange Zeit seien absatzfördernde Maßnahmen schlicht nicht erforderlich gewesen. Primäre Fragen hätten nicht den Verkauf („ob“) der Ruhrkohle betroffen, sondern die Verteilung („wie“). Dies habe sich erst mit dem verstärkten Aufkommen von Mineralölprodukten nach dem Zweiten Weltkrieg geändert, deren Potential von der Kohleindustrie mithin unterschätzt worden sei. Versuche, die Kohle zu bewerben, entstammten jedoch nicht einer Markenstrategie im eigentlichen Sinne, sondern seien Werbemaßnahmen mit oft moralischem Charakter gewesen. Zwar sei die Ruhrkohle gewissermaßen als „Marke“ zu verstehen, aber es kam weder zu einer gezielten Markenbildung noch zur Markenstrategie. Anzumerken sei außerdem, dass es durch den gemeinsamen Vertrieb der Zechen kein Konkurrenzverhalten untereinander gab – anders als etwa zwischen Mineralölkonzernen später. Letztere zeigten jedoch auch, dass Massengüter im engeren Sinn nicht per se ungeeignet für Markenstrategien seien.

Im Arbeitskreis konnten anhand der verschiedenen präsentierten Beispiele Anhaltspunkte zur Entwicklung von Markenstrategien geliefert werden. Der Einfluss der jeweiligen Marktsituation wurde deutlich, die (nicht) notwendige Positionierung je nach Markt- und Konkurrenzumfeld ebenso. Die Erkenntnis, dass große Unternehmen zu Mehrmarkenstrategien neigen, ist weder neu noch überraschend, wurde jedoch bestätigt. Weitere Forschungsansätze und -anstrengungen sind wünschenswert. Beispielhaft seien an dieser Stelle etwa die Entwicklung des Einflusses markenstrategischer Gesichtspunkte bei Akquisitionen und Branchenvergleiche hinsichtlich der Eignung und Ausgestaltung von Markenstrategien genannt.

Abschließend wurden Themenvorschläge für die 12. Sitzung des Arbeitskreises Marketinggeschichte diskutiert und sich für eine eintägige Sitzung ausgesprochen.

Konferenzübersicht:

Benjamin Obermüller (Düsseldorf): Bestände zur Marketinggeschichte im Konzernarchiv Henkel

Claudius Ruch (Marburg): Diversifikation durch Akquisition. Die Übernahmen der Therachemie GmbH und der Dreiring-Werke KG als Einstieg Henkels ins Markenartikelgeschäft im Kosmetik- und Körperpflegesektor

Sandra Trapp (Herzogenaurach) / Christian Kleinschmidt (Marburg): Markenstrategien bei Adidas – langfristige Perspektiven (1949-2016)

Florian Eisenblätter (Wolfenbüttel): Akquisitionsstrategien deutscher Automobilunternehmen in den 1950er- und 1960er-Jahren. Die Übernahmen von Auto Union und NSU als Auftakt zur Mehrmarkenstrategie des VW-Konzerns

Alexander von den Benken (Stuttgart): Die Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG zwischen Boom und Krise von 1972 bis 1987. Von der familiengeführten Sportwagenmanufaktur zum modernen Automobilhersteller

Juliane Czierpka (Bochum): Der Ruhrkohlenbergbau und die Vermarktung der Steinkohle in den 1950er-Jahren